FÜR DEN FALL DER FÄLLE

diplom Elisabeth Decker

30.10.2014

Detail

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Raumansicht

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Raumansicht

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Kreis / Mond, temporäre Rauminstallaton, Eierschalen, zerbrochen
2014

Berg, Videoinstallaton, 3.05 Min./Loop
2014

Sturm, Wandinstallaton/Zeichnung, Sturmhaken, Stahl
2014

Linie, Rauminstallaton, 9m Stahlrohr, leicht gewölbt
2014

Diplom Elisabeth Decker 30.10.2014

FÜR DEN FALL DER FÄLLE

Balance Synonym für „Gleichgewicht“ hergeleitet von dem früh-rom. *bilancia „Waage“ aus dem Adjektiv bilanx „zwei Schalen besitzend“. Der Wortanfang bal- statt bil- kann auf Sekundärmotivation beruhen, etwa nach ballāre „tanzen, bewegen“. Die Balance ist also eigentlich das ausgeglichene Gewicht der beiden Waagschalen.

Aus dem Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache

Während meiner Diplomzeit beschäftigte ich mich mit der Bedeutung von Gleichgewicht beziehungsweise Balance.

Ein universelles Thema, welches jeden Menschen begleitet: Physisch ist es der Sinn, der sich auszubilden beginnt, noch bevor wir geboren werden, sich stärkt mit dem Sitzen- und Laufenlernen und uns dann - meist unscheinbar - ein Leben lang begleitet, bis er uns im Alter wieder zu verlassen beginnt und wir zu Hilfsmitteln greifen, um uns aufrecht zu halten.

Mir erschien die Frage elementar, was Gleichgewicht ist oder alles sein kann, was es braucht, um diesen meist als positiv bewerteten Zustand herzustellen und zu halten. Außerdem fragte ich mich worin die Zusammenhänge bestehen, wenn der Begriff physikalisch, psychologisch und symbolisch benutzt wird. Um Antworten zu finden, unterhielt ich mich während einer langen Recherche mit Menschen, die in ihrem Alltag oder Beruf in verschiedenen Formen mit Gleichgewicht zu tun haben.

So kamen Perspektiven einer Kunsttherapeutin, eines Wahrnehmungspsychologen, eines Kung-Fu-Lehrers, eines Kranfahrers, eines Traumatherapeuten, eines Einsiedlers, eines Physikers, einer Schauspielerin, eines Geistlichen, sowie die Blickwinkel von professionellen Hochseilartisten und syrischen ZirkuspädagogInnen, in einem Refugeecamp in Jordanien, zusammen.

Ich bekam spontane, intuitive, physikalisch belegte, psychologisch erörterte Gedanken von den verschiedenen Experten zu hören - jede_r aus seinem oder ihrem Blickwinkel argumentierend - kurz, einen sehr breit gefächerten Blick auf das Thema.

Was immer wieder zur Sprache kam, war die Tatsache, dass Gleichgewicht meist außer Frage stehe oder unbeachtet bleibe, wenn sich etwas in einem ausgewogenen Zustand befindet. Die Frage nach Gleichgewicht stelle sich oft erst, wenn dieses Etwas zu fallen droht und man auf der Suche nach dem passenden Gegengewicht ist. Diese Tatsache führte zum Titel meiner praktischen Arbeit:

'für den Fall der Fälle'

Ein anderer Aspekt, der fast ausnahmslos in jedem Gespräch vorkam, war die Erwähnung der Mitte. 'die Mitte aus... die Mitte von... die Mitte zwischen...' wurde zum Titel meiner dreiteiligen schriftlichen Arbeit. Erst ein Bewusstsein für die Mitte lasse uns Gleichgewicht erleben, uns verorten und positionieren. Ja, ein Bewusstsein für die Mitte sei wichtig für die Haltung - die innere, wie die äußere.

In meiner künstlerischen Arbeit bedeutet Gleichgewicht für mich eine gewis­se Ästhetik, Ordnung und aktive Ruhe. Ich entwickelte anhand schlichter assoziativer Bilder, in die Aspekte der geführten Gespräche einflossen, eine Installation, in vier Teilen.

Meine Arbeitsweise bezieht sich auf drei wesentliche Elemente: ein Material, ein Träger (Raum/Wand/Geländer) eine Handlung (zerbrechen, drehen, ablegen und schwingen). Durch das Neuordnen des jeweiligen Materials, in meinen schlichten und ephemeren Arbeiten, rücke ich alltägliche Dinge in ein anderes Licht.

Die Linie

Rauminstallation, 9m Stahlrohr, leicht gewölbt

Eine Balancierstange einer Hochseilartistenfamilie liegt leicht schwingend scheinbar eben abgelegt auf dem obersten Geländer eines Treppenhauses. Auf dem Geländer, welches ebenfalls Hilfsmittel gegen das Fallen und Halt des Treppengängers ist. Die Stange, die dem Artisten Halt ist, gibt ihm gleichzeitig Spielraum, denn durch ihr extremes Ausmaß 12kg auf 9m und die schwereren Enden verlagert sie den Schwerpunkt nach unten, verleiht der oder dem Tragenden eine gewisse Trägheit, also mehr Zeit zum Austarieren. Die Stange ist ein extremer Hebel, sie ist schlichte Linie und doch Halt.

Die Sturmhaken

Wandarbeit, 35 Sturmhaken Stahl, verschiedene Längen, 6-30cm

Diese graphische Arbeit zeigt 35, an einer weißen Wand installierte, Sturmhaken in unregelmäßigen Abständen. Sie wurden gedreht und ihr Abrieb hinterließ kreisförmige Spuren. Die Arbeit verweist für mich auf einen Aspekt, der dem Sturm gleich kommt: eine Kraft, die am Gleichgewicht rüttelt, es in Frage stellt, nach unseren Ankern fragt. Die Haken halten fest, schützen vor dem Kaputtgehen, beugen also dem implizierten Fall vor. Sie sind Hilfsmittel.

Der Berg

Videoinstallation, 3:05 Min. Loop,

Die Videoarbeit handelt von der stetigen Wiederkehr von Hürden, dem Erklimmen von einem Berg, dem Kommen und Gehen, dem Hinauf und Hinuntersteigen. Sie verweist auf das in der schriftlichen Arbeit behandelte Thema Mut und Angst, auf das Hürdennehmen, das Üben.

Der Kreis

Bodenarbeit 3m, kreisförmige Fläche aus zerbrochenen Eierschalen

Der große Kreis aus den feinadrig zerbrochenen Scherben der Eierschalen ist eine Übertragung des möglichen Falls. Der Fall ist hier jedoch nicht als etwas per se negatives zu deuten, sondern eher als die Möglichkeit für Neues. Der Kreis, als Symbol für einen wertfreien Zustand, beschreibt meine Vorstellung von Gleichgewicht als einen ebenfalls wertfreien Zustand, in dem sich Gegensätze aufheben.

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